Machtspiel. Der Science-Fiction-Thriller Ex Machina

Es sind gerade einmal 20 Minuten des Films vergangen, wenn „Enola Gay“ von OMD ertönt und damit die entscheidende Wende des Films in Richtung Psychothriller einläutet. Der Song passt mit seiner Anspielung an den Atombombenabwurf auf Hiroshima perfekt zur zentralen Thematik des Films: Den Eingriff des Menschen in die Natur durch eine bahnbrechende Innovation. In Fall von Ex Machina (seit dem 23. April 2015 im Kino) die Erfindung eines Roboters, der über ein Maß an künstlicher Intelligenz verfügt, welche ihn vom Menschen ununterscheidbar macht.

Zu testen, ob dies seinem Chef Nathan (Oscar Isaac) gelungen ist, kommt dem jungen Programmierer Caleb (Domhnall Gleeson) zu und bildet den zentralen Handlungsrahmen des Films. Ausgewählt über ein firmeninternes Gewinnspiel beim Suchmaschinen-Riesen Bluebook (Verweis auf Wittgensteins gleichnamiges Buch), darf Caleb eine Woche mit seinem Boss in dessen Privatanwesen verbringen, um mittels Turing Test (benannt nach Alan Turing, portraitiert in The Imitation Game) dessen neueste Cyborg-Erfindung Ava (Alicia Vikander) zu überprüfen.

So steht zunächst einmal das Verhältnis von Chef und Arbeitnehmer in der heutigen Dotcom-Arbeitswelt im Fokus des Films, wenn Nathan immer wieder ganz lässig erklärt, dass Caleb sein „Buddy“ sei und er ihm hier hierarchiefrei begegnen wolle, gleichzeitig aber im Subtext und der Gestaltung der Räumlichkeiten ganz klare Grenzen aufzeigt. Dieser kritische Blick auf die Macht der oft so nahbar daher kommenden Chefs wird ergänzt durch Anspielungen an das geheime Datensammeln großer Internetfirmen, wobei Nathans Bluebook sicher nicht unabsichtlich an Google erinnert. Verstärkt wird diese Kritik zudem auf einer moralischen Ebene, indem der Film den Multimilliardär nicht nur als Alkoholiker, sondern auch als ziemlichen Macho portraitiert.

Neben dieser Thematik versucht der Schriftsteller (Der Strand) und Drehbuchautor (28 Days Later) Alex Garland in den Plot seines Regie-Debüts durch Anspielungen an Wittgenstein, Oppenheimer oder auch Noam Chomsky eine tiefere philosophische Ebene einzuweben, die aber letztlich sehr oberflächlich bleibt. Fragen nach dem schmalen Grad zwischen Wahrheit und Lüge oder der Qualität eines „guten Menschen“ kann der Zuschauer allenfalls im Anschluss an den Film diskutieren. Auch eine anspruchsvollere Diskussion von Gender-Identitäten verpasst der Film, obwohl er die Tür dazu aufstößt. Da nämlich, wo er bewusst macht, dass weibliche Androide in zahlreichen Filmen vor allem die Projektion männlicher Begierde darstellen (Blade Runner, Her).

Trotz dieser vertanen Chance überzeugt der Film letztlich hauptsächlich durch seinen Spannungsbogen, die ansprechende Ästhetik, die den Gegensatz von Natur und Technik eindrucksvoll veranschaulicht, und den tollen Cast. Während Alicia Vikander auf beeindruckende Art und Weise eine beängstigend menschlich wirkende Ava verkörpert, spielt Oscar Isaac die Pseudo-Intellektualität Nathans ebenso authentisch wie Domhnall Gleeson die stellenweise Naivität Calebs.

Philipp Schultheiß

Liebespaar. Marvel’s The Avengers 2: Age of Ultron

Die Rächer wollen zu Beginn des Films eine Festung einnehmen. Bis der Vorspann läuft, vergeht eine gefühlte Stunde: Belagerung, Explosionen, Todeskampf. Eine Liebesgeschichte verleiht dem Ganzen etwas Menschliches, auch Superhelden haben ein Herz, haben Sehnsüchte.

Im zweiten Teil der Avengers-Reihe (Age of Ultron, seit dem 23. April 2015 im Kino) wird Goethes Ballade vom Zauberlehrling aktualisiert: Tony Stark, der chronisch arrogante Milliärder, will eine künstliche Intelligenz schaffen, die den Weltfrieden sichern soll. Doch Ultron, das Produkt seiner Bemühungen, geht etwas zu analytisch-logisch ans Werk. Nach eingehender Datenverarbeitung kommt er zu dem Ergebnis, dass nur eine Maßnahme sinnvoll ist: Menschheit ausrotten. Das können die Avengers natürlich nicht zulassen und somit kommt es zu einem Krieg von gigantischem Ausmaß.

Dem Film ist hoch anzurechnen, dass er zeigt, wer besonders unter den Kampfhandlungen leidet: Es ist die Zivilbevölkerung, die um ihr Leben rennt, unbewaffnet, in Todesangst. Der Zuschauer erlebt die Kriegsszenen als bewegtes Schlachtengemälde und akustische Belastungsprobe. Die Schauspieler liefern eine routinierte Leistung ab, zwei stechen hervor: Scarlett Johansson und Mark Ruffalo – das verhinderte Liebespaar.

Die stärkste Sequenz hat Age of Ultron, als sich die Avengers auf die Farm von Hawkeye (Jeremy Renner) zurückziehen. Regeneration in der Idylle, die weit weg ist von dem mörderischen Konflikt, der aber auch  hier eine existenzielle Bedrohung darstellt. Wird der Ehemann und Vater aus der Schlacht zurückkehren? Zurück zur schwangeren Ehefrau? Zurück zu den Kindern, die er liebt und die ihn nicht entbehren können?

Thorsten Heckmann

Genie. Der Historiker und Schriftsteller Golo Mann

Golo Mann, der Sohn des Literaturnobelpreisträgers Thomas Mann, wählte sich die Historie als Gegenstand seines Werkes. Seine „Deutsche Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts“ ist ein Genuss für all jene, die sich für dieses Thema interessieren. Wer die sogenannten langen Linien studieren will, ist bei ihr genauso gut aufgehoben wie derjenige, den es zur Einzelbetrachtung besonderer Phänomen oder Personen treibt. Bismarck beispielsweise erhält hier ein Portrait, das plastischer und aufschlussreicher kaum sein könnte.

Wie verhält sich die Geschichtswissenschaft zur Literatur? In Golo Manns Werk sind die Grenzen fließend. Sowohl präzise historische Analysen als auch essayistische Höchstleistungen trifft der Leser an, das Buch liest sich wie ein guter Roman. Als Beispiel soll der erste Satz gegeben werden: „Viel hat der europäische Genius erfunden und der Welt gegeben; Böses und Gutes, solche Dinge zumeist, die zugleich gut und böse waren.“ Es klingt an, dass es in der Regel ungeheuer schwer ist, historische Phänomene zu beurteilen. Das Maß an Differenziertheit, welches von jedem redlichen Historiker gefordert wird, führt ihn an die Grenzen dessen intellektueller Leistungsfähigkeit. Also keine vorschnellen Urteile, keine falschen Gewissheiten – keine Objektivität wie schon Nietzsche in seiner Unzeitgemäßen Betrachtung „Vom Nutzen und Nachtheil der Historie für das Leben“ klargestellt hat.

Die literarische Qualität von Golo Manns Schriften ist mit der von Sebastian Haffner zu vergleichen, nur dass der Journalist Haffner berufsbedingt die Reduktion wählte, wohingegen Mann die große Form bevorzugte.

Geschichtsschreibung ist Literatur – dieser Grundsatz gilt bereits seit der Antike. Herodot erzählte Geschichte, Thukydides ergänzt diesen Ansatz durch analytische Methoden, die auch den heutigen Historikern noch zum Vorteil gereichen. Dabei wird nichts verfälscht, sondern Geschichte überliefert, gesichert, tradiert.

Thorsten Heckmann

Mit Herz und Verstand. „Politik als Beruf“ von Max Weber

Maut für Mindestlohn, Betreuungsgeld für Mietpreisbremse, Vorratsdatenspeicherung für Rente mit 63 – die Große Koalition ist, so wird vielerorts kolportiert, der spektakuläre Ausdruck der „Kompromissrepublik Deutschland“. Getragen, so geht die Erzählung oftmals weiter, von einer ganzen Schar blasser Politiker, welchen es lediglich um die Inszenierung der eigenen Kompetenz und den schnellen Erfolg der kommenden Wiederwahl geht. In diesem Zusammenhang wird oftmals mit verklärtem Blick auf die „charismatische Herrschaft“ Max Webers hingewiesen, die in seinem berühmten Vortrag „Politik als Beruf“ aus dem Jahr 1919 erläutert wird (Max Weber: „Politik als Beruf“, in: Gesammelte Politische Schriften, J.C.B. Mohr, Tübingen 1988). Es ist eine jener in der heutigen Medienwelt leider allzu oft vorkommenden Verkürzungen eines großen Denkers, um die politische Landschaft in allzu grellen Farben nachzuzeichnen. Zwei Aspekte scheinen hierbei in den Hintergrund geschoben zu werden: Zum einen fehlt der Hinweis auf die Komplexität der politischen Themen selbst. Freilich, so könnte man sagen, ist es nun einmal der Job eines jeden Politikers, sich die entsprechenden Inhalte anzueignen. Dies aber hilft nur scheinbar darüber hinweg, dass insbesondere die politische Sphäre in den letzten Jahrzehnten eine Komplexitätserhöhung erlebt hat, die sich einfügt in den Reigen einer grundsätzlichen Modernisierung unserer Gesellschaft, die mit allerlei Alltagsschwierigkeiten einhergeht. Die Politik sowie öffentliche Verwaltungen, so sagten bereits in den Siebziger-Jahren Peter L. Berger und Hansfried Kellner in ihrem Buch „Das Unbehagen in der Modernität“, seien hierfür nur besonders anschauliche Beispiele – und ein jeder, der nur einmal auf kommunaler Ebene Politik betrieben und so in Kommunalverwaltungen aktiv war, müsste wissen, wovon die beiden Autoren sprechen. Zum anderen ist ein allzu einseitiges Verständnis des „charismatischen Politikers“ als Inszenierer seiner selbst auch empirisch mit Vorsicht zu genießen. Hingewiesen sei hier exemplarisch auf die Studie des Soziologen Ronald Hitzler aus den Neunziger-Jahren, der anhand des damaligen Ministers Jürgen Möllemann die genaueren Funktionsmechanismen der großen Politik analysiert hat. So habe Möllemann „die Politik als einen ,entzauberten‘ Raum des herrschaftstechnisch Gestaltbaren begriffen, nie aber als eine ,magische‘ Sphäre moralischer Sinngebung.“ (Ronald Hitzler: „(Vorläufiges) Ende einer Medienkarriere. Zur Zwangsläufigkeit des Rücktritts von Bundeswirtschaftsminister Möllemann“, in: Zeitschrift für Politische Psychologie (ZfPP), 1. Jg., H. 1/1993, S. 65-71) Dieser Aspekt einer vermeintlichen Repräsentation moralischer Werte, die Möllemann vermissen ließ, und just aus diesem Grund letzten Endes keinen Erfolg in der Politik hatte, sollte zu denken geben.
Dann nämlich muss beides zusammengedacht werden: Repräsentation moralischer Werte und strategisches Handeln, Rückgrat bei Grundsatzentscheidungen und Kompromissfähigkeit. Oder wie es Weber selbst formuliert: „Denn das Problem ist eben: wie heiße Leidenschaft und kühles Augenmaß miteinander in derselben Seele zusammengezwungen werden können? Politik wird mit dem Kopfe gemacht, nicht mit anderen Teilen des Körpers oder der Seele. Und doch kann die Hingabe an sie, wenn sie nicht ein frivoles intellektuelles Spiel, sondern menschlich echtes Handeln sein soll, nur aus Leidenschaft geboren und gespeist werden.“ (Weber 1988, 545f.) Und, so möchte man hinzufügen, beides ist auch heute noch vorhanden, denn es gibt sie: jene Politiker, die die Konflikte dieser Welt tagein tagaus mit diplomatischen Mitteln zu verbessern versuchen, jene Politiker, die trotz fehlender Strukturen Entwicklungshilfe in allerlei Ländern betreiben, und sogar jene Politiker der viel gescholtenen SPD, die gegen die Maut gestimmt haben – aus purer Überzeugung. Nicht immer, so sollte man im Zusammenhang mit Max Weber festhalten, der dem, so viel der Spekulation sei erlaubt, zugestimmt hätte, ist Politik nur das, worauf der ebenso grelle wie kurzlebige Schein medialer Berichterstattung fällt.

David Emling

Abschied aus der Madison Avenue. Die letzte Staffel von Mad Men

Don Draper passt auf seine beiden Söhne auf, es gibt Milchshakes. Seine Ex-Frau Betty kehrt zurück, ein kurzes Gespräch. Ihr neuer Mann betritt die Küche, Don geht.
Seit zwei Wochen läuft die letzte Staffel der amerikanischen Serie Mad Men. Drehbuchautor Matthew Weiner hat die Zuschauer seit 2009 in die USA der Sechziger-Jahre entführt: Männer in Schlips und Kragen, Scotch am Vormittag, schwangere Frauen, die rauchen. Nach dem Familienpicknick wird der Müll einfach in den Wald geworfen, Sekretärinnen müssen die Macho-Sprüche ihrer männlichen Vorgesetzten ertragen. Frauen emanzipieren sich nur langsam und zahlen dafür einen hohen Preis: Die langjährige Chefsekretärin Joan wird erst Teilhaberin der Werbeagentur, nachdem sie mit einem wichtigen Kunden geschlafen hat. Peggy, die es von der Schreibkraft zum Creative Director gebracht hat, gibt ihr privates Glück auf.
Nicht allen gefällt die Serie. Der US-Autor Jonathan Franzen (Die Korrekturen, Freiheit) hält sie für irrelevant, andere monieren, dass ein verzerrtes Bild der Sixties vermittelt wird, manche finden sie einfach langweilig. In der Tat wirkt die Handlung etwas betulich. Schonungslose Gesellschaftskritik im Stil von Breaking Bad wird nicht geboten. Mad Men ist eine Soap Opera auf höchstem Niveau. Einige Folgen plätschern vor sich hin, nichts Bemerkenswertes passiert.
Don Draper personifiziert den amerikanischen Traum. Der Sohn einer Prostituierten, in Armut aufgewachsen, schafft es in die Chefetage einer renommierten New Yorker Werbeagentur. Doch mehr als Wohlstand ist für ihn nicht erreichbar. Seine erste Ehe, aus der drei Kinder hervorgegangen sind, scheitert, die zweite ebenfalls. Don, der ein Geheimnis mit sich herumträgt, ist stets kontrolliert – nur bei seinen zahlreichen Geliebten kann er sich fallenlassen. Gibt er einmal mehr von sich preis, erfährt er Ablehnung von seiner Umwelt. Die will es makellos, heiter. Scheitert Don Draper? Bald werden wir es wissen.

Thorsten Heckmann