Im Temporausch. Das Action-Spektakel Mad Max: Fury Road

Schon am Design der Verleihlogos zu Beginn des Filmes und der sofort einsetzenden Gitarren-Staccati ist das Motto des Films vorgegeben: Adrenalin. Ob es nun die Nitro-Einspritzer der Kampfgefährte sind oder die silbernen Drogensprays der Kämpfer, stets muss neuer Antrieb geschaffen werden, sonst bleibt man in der Welt von Mad Max: Fury Road (seit dem 14. Mai 2015 im Kino) auf der Strecke. Und das im wörtlichen Sinne, lässt sich doch die komplette Handlung des Filmes an einer Fahrstrecke verfolgen.

Dreißig Jahre nach dem letzten Teil der Reihe wird Max (Tom Hardy) in die Festung von Immortan Joe (Hugh Keays-Byrne) entführt, die er trotz spektakulären Ausbruchsversuchen am Ende nur gefesselt auf den Kühlergrill eines Schlachtwagens verlässt. Grund dafür ist die Flucht der einarmigen Furiosa (Charlize Theron), die dem Imperator fünf Sklavinnen raubt, welche als lebendige Gebärmaschinen den Grundstein für dessen Nachfolge schaffen sollten. In der Folge entbrennt eine wilde Verfolgungsjagd durch atemberaubend triste Landschaften, die Max und Furiosa zu einem Team werden lässt und den Rahmen für ein wahres Action-Feuerwerk liefert.

Tatsächlich ist damit nahezu der komplette Plot des Films erläutert, was George Miller aber wohl genau so geplant hat. Der Regisseur der ersten drei Mad-Max-Filme verzichtet konsequent auf die in Action-Filmen ohnehin oft platten Dialoge und steckt sehr viel Liebe in das Kostüm-, Maschinen- und Setdesign. Besonders stechen hier die mit E-Gitarristen und Trommlern ausgestatteten Kampfgefährte heraus, deren Sounds direkt in die Filmmusik integriert sind. Beeindruckend ist auch die Choreographie der Stunts, die oftmals erst durch originelle Verkettungen von Ereignissen ihr Ende finden. Hier macht sich positiv bemerkbar, dass nahezu ausschließlich echte Autos und Stunts eingesetzt wurden, die ein schicker digitaler Beschleunigungseffekt im Bildlauf ergänzt.

Der Film begeistert also vor allem technisch, schafft es aber auch inhaltlich zu überzeugen, indem er mit sehr starken weiblichen Charakteren aufwartet. Anders als Max, der jede Hoffnung für gefährlich hält, kämpfen die Frauen um Furiosa mit allen Mitteln um Erlösung.

Philipp Schultheiß

Der verzweifelte Held. Philip Roths Meisterwerk Amerikanisches Idyll

Mister Levov ist traumatisiert. Seine sechzehnjährige Tochter Meredith verübt einen Bombenanschlag auf ein Postamt in ihrem Heimatort Old Rimrock, New Jersey. Ein Mensch stirbt.

Meredith, genannt Merry, war zwar eine äußerst schwierige Jugendliche, sie quälte ihre Eltern, Angehörige der amerikanischen upper middle class mit antikapitalistischen und revolutionären Parolen, agitierte gegen den Krieg der USA in Vietnam – aber das!

Seymour Levov ist der Held des Romans Amerikanisches Idyll (Original: American Pastoral) von Philip Roth. Ein amerikanischer Held, den der Autor einer unbarmherzigen Dekonstruktion unterzieht. Zunächst lernt der Leser die Geschichte vom erfolgreichen, beneidenswerten Mister Levov kennen. Seymour, Sohn eines gleichsam erfolgreichen wie patriarchalischen Unternehmers, ist ein bewunderter High-School-Sportler, später US-Marine, dann reüssiert er als Nachfolger seines Vaters. Er will in seinem Leben alles richtig machen, was ihn nicht vor dem Abgrund schützt, der sich nach der Wahnsinnstat seiner Tochter vor ihm auftut.

Philip Roth orientiert sich in seinem Roman an der biblischen Hiob-Erzählung. Hiob, ein rechtschaffener Mann, wird von Gott alles genommen: Seine Familie, sein umfangreicher Besitz. Er zweifelt, er klagt, doch letztlich hält er an Gott fest, vertraut dem consilium dei.

In der biblischen Erzählung wird Hiob dafür belohnt. Er erhält sein Eigentum verdoppelt zurück, gründet eine neue Familie. Dieses Glück ist Seymour Levov nicht beschieden. Nachdem seine erste Ehe gescheitert ist, heiratet er zwar noch einmal und wird wieder Vater. Aber den Bruch in seinem Leben kann er nicht bewältigen. Er hat den Wahnsinn gesehen und wird ihn nicht vergessen.

In der Hiob-Erzählung wird das bis dahin im Alten Testament übliche Tun-Ergehen-Schema in Frage gestellt. Ähnliches vollzieht Philip Roth im Amerikanischen Idyll. Nur dass Seymour nicht dem Ideal nachjagt, ein frommer und rechtschaffener Mann zu sein, sein Idealbild ist Amerika, in dem man es durch Fleiß, Zuverlässigkeit und Anpassung zu persönlichem Glück bringen kann.

Roth siedelt Merrys Attentat im Jahr 1968 an. Eine Zeit, in der die amerikanische Gesellschaft gewaltige Veränderungen durchlebte: Civil Rights Movement, Vietnam und der Ruf linker Intellektueller nach einer Abkehr der USA vom Kapitalismus. Es waren häufig junge Menschen aus gut situierten Familien, die sich gesellschaftskritisch äußerten, viele verbal, in Demonstrationen und Protestschriften, manche in Form roher Gewalt – wie zum Beispiel Merry.

Die Frage, warum Merry zur Terroristin geworden ist, wird im Roman nicht geklärt, lediglich Erklärungsansätze werden geliefert. Seymour muss seine Tochter, nachdem er sie 1973 noch einmal gesehen hat, zurücklassen. Sie, inzwischen in einem esoterischen Wahn gefangen, lebt verarmt und vereinsamt im Untergrund.

Thorsten Heckmann

Freiheit. Der Philosoph Jean-Paul Sartre

Der Mensch gestaltet sein Leben, macht sich zu dem, was er ist. Wenn er geboren wird, existiert er lediglich. Fortan erschafft der Mensch sein Wesen, also seine Persönlichkeit, seinen Charakter. Wohingegen es bei Gegenständen wie Stühlen, Fenstern oder Schuhen zunächst nur das Wesen gibt, sprich das Konzept, wie sie sein sollen. Nachdem ein Mensch die Gegenstände hergestellt hat, existieren sie.

Der Mensch zuerst nur Existenz, dann Wesen – mit dieser Idee wurde Jean-Paul Sartre kurz nach dem Zweiten Weltkrieg weltberühmt. Die Jugend der 1950er-Jahre, zumindest die privilegierte und bildungsbürgerlich geprägte, war fasziniert von der Theorie des französischen Philosophen. Man wurde Existenzialist. In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts war von freier Selbstgestaltung nicht viel zu spüren gewesen. In zwei Weltkriegen waren Millionen junger Männer zum Sterben an die Front geschickt worden. Auch die Zivilbevölkerung wurde nicht geschont: Angst und Tod statt Freiheit und Selbstbestimmung.

Jean-Paul Sartre wusste aber auch, dass es für die Menschen nicht immer leicht ist, die Freiheit zu ertragen: „Wir sind dazu verdammt, frei zu sein.“ Jeder kennt diese Situation. Eine wichtige, wegweisende Entscheidung ist zu treffen. Man kann andere Menschen um Rat fragen, man kann Ratgeber-Literatur konsultieren, doch letztlich fasst man den Entschluss alleine – existentielle Einsamkeit.

Sartres große Zeit waren die Fünfziger-und Sechziger-Jahre. 1946 war sein berühmtes Essay „Der Existentialismus ist ein Humanismus“ erschienen. Von diesem Text distanzierte er sich zwar später, doch er ist ein guter Einstieg in sein Werk. Die Fünfziger werden häufig als konservative Zeit beschrieben. Das waren sie auch, insbesondere, wenn man als Durchschnittsbürger in der Bundesrepublik Deutschland lebte: Sissi und Gelsenkirchener Barock. Aber dieses Jahrzehnt zeichnet sich auch durch eine bemerkenswerte Modernität aus: Jackson Pollock, Hans Knoll, die Blechtrommel. Sartre war einer der Vordenker dieses Fortschritts. Zum Tragen kommen die neuen Ideen dann vor allem in der zweiten Hälfte der 1960er-Jahre, insbesondere im Jahr 1968. Der Wohlstand, den das Wirtschaftswunder in den 1950er-Jahren gebracht hatte, war eine wichtige Voraussetzung für diese emanzipatorischen Gedanken.

Thorsten Heckmann